Ein Bericht aus „Die Welt“ vom 20.03.2015
In den USA gibt es eine neue Berufsbezeichnung: den Chief Happiness Officer (CHO). Seine Mission: die Mitarbeiter glücklich zu machen und so den Umsatz zu steigern. Aber funktioniert das so einfach?
Von Adrian Lobe
Im Jahr 2010 schrieb Tony Hsieh, der Gründer des Online-Shops Zappos, ein Buch mit dem Titel „Delivering Happiness“ – Glück liefern. Der Entrepreneur ließ sich strahlend mit Paketen ablichten, das Buch wurde ein Bestseller. Wenn Zappos Schuhe liefert, so das Versprechen, liefert es gleichsam Glück.
Hsieh ist heute nicht nur Vorstandschef (CEO) seines Unternehmens, sondern auch Chief Happiness Officer (CHO). Kein Witz. Immer mehr Führungskräfte von Start-ups und Technikunternehmen im Silicon Valley führen diesen Namen im Titel. Was macht eigentlich ein Chief Happiness Officer? Und was erklärt die rasche Verbreitung?
Alexander Kjerulf ist Chief Happiness Officer des dänischen Start-ups Wohoo. „Die Unternehmen merken, dass glückliche Arbeitskräfte glückliche Kunden haben und mehr Geld verdienen“, sagt Kjerulf. Studien belegten, dass glückliche Mitarbeiter produktiver, innovativer und motivierter sind. Sie würden zudem weniger krank und blieben länger beim Unternehmen.
Glückliche Kunden seien loyal und empfehlen das Produkt oder die Dienstleistung weiter. „Der beste Weg, Kunden glücklich zu machen, ist es, glückliche Angestellte zu haben, weil die sich am besten um sie kümmern“, behauptet Kjerulf.
Gute-Laune-Bär vom Dienst
Von daher sei es nur konsequent, einen Glücksvorstand zu berufen. „Man wird sie nicht immer Chief Happiness Officer nennen, aber es ist eine Person, die sich selbst dafür verantwortlich sieht, die Organisation glücklich zu machen.“ Eine Art Gute-Laune-Bär vom Dienst also. „Manchmal ist die Rolle intern auf Mitarbeiter beschränkt, manchmal aber auch nach außen auf Kunden gerichtet“, erklärt Kjerulf.
„Der Job ist sowohl inspirativ als auch praktisch. Die Person sollte selbst glücklich sein. Und es sollte jemand sein, der andere von Natur aus zu Glück inspirieren kann, der in der Lage ist, sich um den Wohlfühlfaktor am Arbeitsplatz zu kümmern“, beschreibt Kjerulf das Anforderungsprofil. „Die Aufgabe des CHO besteht darin, Initiativen durchzuführen, etwa die Organisation von Feiern, Trainings, Events und ähnlichen Aktivitäten am Arbeitsplatz, die den Mitarbeitern helfen, gute Arbeit zu leisten.“
Man sollte nicht glauben, dass es sich bei dem Posten um einen Jux handelt. Chade-Meng Tan führt bei Google offiziell den Titel CHO im Profil. Die Mitarbeiter des Internetkonzerns gelten als äußerst glücklich. Im Hauptquartier in Mountain View können die Angestellten von Etage zu Etage rutschen, in zu Sesseln umfunktionierten Schiffen ihre kreativen Ideen ausleben und in einer „Stresskapsel“ abschalten.
Googles zahlreiche Campusse spiegeln die Philosophie wieder, den „glücklichsten, produktivsten Arbeitsplatz auf der Welt zu schaffen“, wie es Sprecher Jordan Newman einmal formulierte. Google ist eine Glücklich-mach-Maschine. In den geheimen Laboren tüfteln Ingenieure sogar an den Algorithmen des Glücks. Im Silicon Valley ist Glück nicht etwas, das man findet, sondern kauft und geliefert bekommt.
Google investiert in das Glück seiner Mitarbeiter
„Unternehmen wie Google wollen etwas kodifizieren, was individuell und persönlich ist und es innerhalb der Organisation verbreiten, um die Arbeitskräfte effektiver und effizienter zu machen“, erklärt der Wirtschaftsprofessor Martin Ihlig von der Wharton School der University of Pennsylvania. Der Chief Happiness Officer sei nicht nur dazu da, die Mitarbeiter bei Laune zu halten, sondern auch, um neue Talente anzuwerben.
„Es gibt speziell im Silicon Valley großen Bedarf an hoch qualifizierten Kräften, somit ist es nachvollziehbar, dass Unternehmen wie Google in das Glück ihrer Mitarbeiter investieren.“ Gleichzeitig wollen die Unternehmen die Kundenzufriedenheit erhöhen. „Das Wissen, wie man die fundamentalen Bedürfnisse der Hauptkundensegmente befriedigt, wird immer wichtiger“, so Managementexperte Ihlig. Die Messung des Glücksbefindens sei allerdings schwierig.
Andererseits: Ist es nicht Sache des Chefs, also des CEO selbst, seine Mitarbeiter zu motivieren? Am einfachsten wäre es ja, wenn das Geschäft gut läuft, der Boss gerecht ist, die Perspektiven gut und die Bezahlung auch. Erfolg ist der beste Glücksgenerator. Das sieht auch Ihlig so. Der CEO sei jedoch meist mit anderen Dingen beschäftigt. Der Chef sieht mehr das große Ganze als das individuelle Wohlbefinden.
Wenn Glück als wichtige Priorität in einem Unternehmen angesehen wird, so Ihlig, könne die Verantwortung auf einen CHO delegiert werden – der Posten wäre direkt im Vorstand angesiedelt, ähnlich einem Chief Operating Officer (COO).
Dan Haybron lehrt Philosophie an der Saint Louis University in den USA und hat mehrere Bücher zum Thema Glück veröffentlicht. Er sagt: „Ich denke, es ist wirklich wichtig für Unternehmer, Glück und Lebensqualität ernst zu nehmen, denn ein guter oder schlechter Job kann einen großen Unterschied im Leben einer Person machen. Auf der anderen Seite kann es auch sehr schlecht gehandhabt werden. Wenn man einen Vorstand hat, der für Glück verantwortlich zeichnet, bedeutet das, dass man ihm auch Aufmerksamkeit schenkt? Welchen Stellenwert hat er?“
Vorsicht vor Effekthascherei
Was für Glück wichtig sei, hänge mit den grundlegenden Strukturen des Arbeitsplatzes zusammen, zum Beispiel der Kultur, Arbeitszeit und Mitsprache. Die entscheidende Frage sei, ob sich der CHO in diesen Bereichen einsetze oder nur einen blassen Bürokraten abgebe, der sich pro forma um die Anliegen der Mitarbeiter kümmere.
„Es gibt einen Grund zur Besorgnis, dass die Glücksinterventionen auf der Arbeit häufig effekthascherisch und aufdringlich sind“, so Haybron. „Werden die Angestellten aufgefordert, Lach-Yoga-Sessions mitzumachen? Ich denke, die größte Gefahr ist, dass viele Unternehmen die großen Themen für die Herstellung einer guten Arbeitsatmosphäre beiseiteschieben und stattdessen einen Happiness-Berater hineinwerfen, der mehr schadet als nutzt.“
In Unternehmen mit schlechtem Ruf könnte auch der positivste Mensch keinen Optimismus verbreiten. Glücksforscher Haybron hat selbst im Silicon Valley gearbeitet und kennt die Stimmungslage sehr gut. „Die Leute dort haben hohe Erwartungen an ihr Leben. Gleichzeitig gibt es viel Stress und Unzufriedenheit im Job. Man muss nur mal zum Friseur gehen, um einen Blick hinter die Kulissen zu bekommen.“
Hinter der euphorisch-optimistischen Maskerade gebe es vielerorts auch Missmut. Gute Laune lasse sich eben nicht verordnen – und Glück nicht unbedingt durch einen Posten erzeugen.